Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind Begriffe, die keiner bestimmten Disziplin zugeordnet werden, sondern als Querschnittsthemen in allen Fachgebieten und gesellschaftlichen Bereichen vertreten sind. Während Digitalisierung im engeren Sinne einen Wandlungsprozess beschreibt (Wolf et al. 2018), steht Nachhaltigkeit für ein Handlungsprinzip, das die Schaffung eines Gleichgewichts zum Ziel hat und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung durch das Drei-Säulen-Modell aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem definiert wird (Hauff 2014).
In der Forschungsgruppe geht es jedoch nicht um die wissenschaftlich reine Ergründung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Vielmehr orientiert sich das Vorgehen an den Methoden der transformativen Wissenschaft (Schneidewind 2013).
In akteursübergreifenden Projekten wird dabei nicht nur Veränderung untersucht und entsprechendes System-, Ziel- und Transformationswissen zur Verfügung gestellt, sondern auch Wandlungsprozesse hin zu Nachhaltigkeit angestoßen und somit transformativ gewirkt (Schneidewind & Singer-Brodowski 2014).
In Ergänzung zum Transfergedanken, bei dem es um die Übertragung von wissenschaftlichen Erkenntnisgewinnen in Verhaltensänderungen außerhalb der Wissenschaft geht (Thiel 2002), sind die Projekte inter- und transdisziplinär angelegt. Jeweils disziplinäres Wissen wird durch Methodentriangulation bereichert. Beispielhaft seien die Projekte zur Starkregenvorsorge genannt: Die Ergebnisse der Modellierung und Simulation mit Methoden der Umweltinformatik werden ergänzt um Experten- und Fokusgruppeninterviews, Ortstermine mit Mitgliedern der Bürgerschaft sowie Beteiligung an Sitzungen von Ortsausschüssen. Einerseits wird so implizites Expertenwissen exploriert, bspw. wenn Ortskundige von historischen Wassergräben berichten, andererseits wirbt man nebensächlich in der Interaktion mit Bürgerschaft und Verwaltung für ein systemisches Verständnis des, in diesem Beispiel, komplexen Zusammenhangs von Extremwetterereignissen und Klimaänderung.
Anpassungsprozesse an den Klimawandel und die Vorsorge gegenüber Extremwetterereignissen sind somit auch Beispiele für Transformationsprozesse in ländlichen Räumen, die durch die Forschungsgruppe wissenschaftlich begleitet werden.
Ein weiteres Untersuchungsfeld der Forschungsgruppe ist, welche Rolle die Hochschule in ihrer Third Mission einnehmen kann.
Als Akteurin im ländlichen Raum trägt Hochschule eine besondere Verantwortung für die Entwicklung ihrer Region. Durch die Erarbeitung innovativer und passgenauer Instrumente für den Transfer von Ideen, Wissen und Technologien und eine starke Verflechtung mit Gesellschaft, Wirtschaft und Verwaltung kann Hochschule eine wichtige Rolle in gesellschaftlichen Transformationsprozessen einnehmen. Dies zielt auf die Forschungsfrage, welches die jeweils situativ wirksamsten Gelingensfaktoren von Wandlungsprozessen sind, an denen die Hochschule transformativ beteiligt ist.
Wolf, T., Strohschen, JH. (2018). Digitalisierung: Definition und Reife. In: Informatik Spektrum 41, S. 56–64. https://doi.org/10.1007/s00287-017-1084-8
Hauff, M. von. (2014). Nachhaltige Entwicklung: Grundlagen und Umsetzung (2. aktual. Aufl.). De Gruyter Oldenbourg. https://doi.org/10.1524/9783486856002
Schneidewind, U. & Singer-Brodowski, M. (2014). Transformative Wissenschaft.Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem. 2. Auflage. Marburg: Metropolis
Schneidewind, U. (2013). Transformative Literacy – ein Bezugsrahmen für den wissensbasierten Umgang mit der „großen Transformation“. In: GAIA Jahrgang 22 (2), S. 82–86
Thiel, M. (2002). Wissenstransfer in komplexen Organisationen. Effizienz durch Wiederverwendung von Wissen und Best Practices. Univ., Diss. u.d.T.: Thiel, Michael: Organisation und Implementierung des Wissenstransfers. München, 1. Aufl. Wiesbaden: Dt. Univ.-Verl.
Prof. Dr. Klaus Maas
Verena Weber
Projekte der Forschungsgruppe
Hypothetisch wird angenommen, dass eine Hochschule gegenüber den Studierenden nur authentisch wirkt, wenn sie Nachhaltigkeitsziele verfolgt. Hintergrund dieser Überlegung ist, dass Nachhaltigkeit ein Querschnittsthema in allen Lehr- und Wissenschaftsgebieten ist. Gegenstand der Campus-Nachhaltigkeitsstrategie sind die Bewältigung von Nachhaltigkeitsherausforderungen an einem Hochschulcampus und die Implementierung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen. Nachhaltigkeit wird dabei ganzheitlich verstanden, also ökologisch, sozial und ökonomisch. Es geht um den transformativen Prozess hin zu einem nachhaltigen Campus.
Gegenstand der Begleitforschung war das gemeinsame Projekt Smart Country Side der Kreise Lippe und Höxter, welches eines von insgesamt zehn geförderten Projekten des Integrierten Handlungskonzepts der Region Ostwestfalen-Lippe „OWL 4.0 – Industrie, Arbeit, Gesellschaft“ ist. Diese Handlungskonzepte sind Folge der auf bundespolitischer Ebene gestellten Forderung an Dörfer, sich intensiver mit der Digitalisierung auseinanderzusetzen.
Evaluiert wurden leicht nutzbare und ortsunabhängige Lösungen, die das Leben im ländlichen Raum spürbar und nachhaltig verbessern. Beispielhafte Anwendungsfelder sind Ehrenamt, E-Partizipation und Mobilität. Zielgruppen sind ehrenamtlich Tätige und mitwirkende Bürger sowie Verantwortliche in Behörden und Einrichtungen der Daseinsvorsorge.
Die zu evaluierenden Umsetzungsprojekte waren digitale Dorf-, Kirchen-, Fürsorge oder Immobilien-Plattformen, Dorf-Hilferufe, Dorf-Chroniken, Erlebnistouren, Info-Touch-Screens, Lern- und Medienecken, Verwaltungs- und Schulanwendungen, eine Smart Bench und ein smartes Dorfgemeinschaftshaus sowie mit den Projekten zusammenhängende Schulungen.
Dabei basierte die Evaluation vor allem auf Daten, die mittels qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung in Form von Experten- und Fokusgruppeninterviews erhoben wurden. Konzeptionelle Grundlage für die Evaluierung bildete das CIPP-Evaluationsmodell (Context, Input, Process, Product). Die inhaltliche Auswertung erfolgte mittels einer strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse.
Der Masterplan Höxter bündelt auf Kreisebene, mit der Stadt sowie mit Unternehmen verschiedene Initiativen zur regionalen Strukturentwicklung. Es geht weniger um neue Projekte, sondern um die Fokussierung bestehender Initiativen und ein gemeinsames Selbstverständnis und Commitment. Darauf basierend sind durch Gremienbeschlüsse in den jeweiligen Sektoren erste grundlegende (hochschul-) politische, wirtschaftliche und letztlich gesellschaftliche Strukturen geschaffen worden. Aktuelle Anknüpfungspunkte für den Masterplan sind die Prozesse der Landesgartenschau 2023, der Regionale sowie die in Entwicklung befindlichen Strategiepapiere der Stadt, des Kreises und der Hochschule.
Die Klimaänderung zeigt sich durch Erwärmung der Luftmassen und langfristig vor allem durch die Erwärmung der Wassermassen. Im Kontext Starkregen ist relevant, dass warme Luft mehr Feuchte aufnehmen kann. Durch die global betrachtet vergleichsweise schnelle Erwärmung am Nordpol ändern sich die Großwetterlagen in der nördlichen Hemisphäre. Ausgeprägte Hoch- und Tiefdruckgebiete bewegen sich langsamer und verbleiben mitunter lagestabil. Diese Gemengelage ist die Ursache für vermehrte Starkregenereignisse mit teils tragischen Folgen und gleichsam Ursache für sehr trockene Zeitabschnitte.
Mit verschiedenen Ansätzen arbeitet die Forschungsgruppe mit Stadt, Kreis und Kommunen zusammen. Es werden Gerinnelinien sehr kleinräumig modelliert, d.h. die Frage geklärt, wo im Fall von Starkregen das Wasser abfließt und sich kumuliert. Es werden im Modell Maßnahmen zur Ableitung oder Zurückhaltung der Wassermassen simuliert. Zudem werden Geobasisdaten über die relevanten Bodeneigenschaften zusammengestellt, wie bspw. Wasseraufnahmefähigkeit und Erodierbarkeit des Oberbodens.
Letztlich steht die Forschungsgruppe auch für die Moderation der möglichen Gegenmaßnahmen in den Gremien der potenziell gefährdeten Ortschaften zur Verfügung.
Ein Tiny House steht für einen konsequenten Gegenentwurf üblicher Wohn- und Lebensformen und kann trotz grundsätzlich ungünstiger energetischer Kennwerte auch nachhaltig überzeugen. Die Reduzierung auf das Nötige und Wichtige spart Ressourcen sowie Emissionen und hat durch Verzicht von Fläche und Raum ein enormes Nachhaltigkeitspotenzial.
Studierende der Architektur, der Umwelttechnik und der Gebäudeenergietechnik am Sustainable Campus Höxter haben diesen Aspekt weitergedacht und eine Quartierslösung entworfen, die neben einem minimalen Ressourcenverbrauch auch neue Wohn- und Arbeitsverhältnisse sowie Mobilitätsanforderungen berücksichtigt.
Die Ideen und Entwürfe der Studierenden werden von einem regionalen Joint Venture aus Unternehmen, Verwaltung und Hochschule gemeinsam weiterentwickelt. Im Rahmen der Landesgartenschau 2023 in Höxter soll ein Quartier aus 4 Tiny Houses prototypisch gebaut werden.
Die Innovation des Projekts liegt weniger in einer technologischen Einzelentwicklung sondern vielmehr in der konsequenten Kombination dessen, was technisch möglich ist, und vor allem im transdisziplinären Ansatz. Akteure verschiedener gesellschaftlicher Sektoren (Hochschule, Verwaltung, Unternehmen, Landesgartenschau-Besucher) haben gemeinsam Einfluss auf die Gestaltung eines vergleichsweise radikalen Nachhaltigkeitsansatzes, sei es im Sinn der Vision, des Designs, der Planung, der Konstruktion, der behördlichen Aufsicht oder der Nutzung.
Promotionen in der Forschungsgruppe
Die Leitplanken landwirtschaftlicher Produktion ändern sich fortwährend. Politische Rahmenbedingungen und die zunehmende Liberalisierung und Globalisierung der Agrarmärkte bedingen einen strukturellen Wandel der Landwirtschaft. Der Klimawandel, veränderte Verbraucheransprüche und Essgewohnheiten, oder die Digitalisierung stellen Landwirtinnen und Landwirte vor neue Herausforderungen und erfordern unternehmerisches Geschick, ein strategisches Vorgehen und Agilität.
Die Neoklassik bietet mit verschiedenen Funktionen und ökonomischen Planungsprinzipien Werkzeuge, die Unternehmens- und Produktionsplanung rechnerisch zu gestalten. Nicht berücksichtigt werden in diesen Funktionen allerdings der Unternehmer und die Unternehmerin als Mensch mit Werten und Einstellungen, oder Faktoren wie Tradition und Familie, die auf landwirtschaftlichen Betrieben oft eine besondere Rolle einnehmen und Unternehmer*innen bei der Ausgestaltung ihrer Unternehmenstätigkeit beeinflussen können.
In Deutschland sind knapp 40% der landwirtschaftlichen Betriebsinhaber*innen 55 Jahre und älter. Die Altersstruktur deutet zum einen auf einen weiteren strukturellen Wandel hin und lässt ferner die Bedeutung landwirtschaftlicher Hofnachfolger*innen steigen.
Für viele dieser landwirtschaftlichen Betriebe ist die Hofnachfolge noch nicht abschließend geklärt. Zeitgleich interessieren sich immer mehr Quereinsteigende für eine Existenz in der Landwirtschaft.
Auch der nationale GAP-Strategieplan, den jeder EU-Mitgliedsstaat seit 2021 vorlegen muss, und der sich gerade noch in der Entwurfsfassung befindet, widmet sich in mehreren Zielformulierungen der nachfolgenden Generation. Zudem gelten in der Landwirtschaft die Hofnachfolger*innen als Innovationstreiber und verschiedene Maßnahmen wie die Junglandwirteförderung oder die damalige Hofabgabeklausel sollen für einen frühen Übergang der Betriebe an die jüngere Generation sorgen und damit Neuerungen und Innovationen vorantreiben.
In dem Forschungsvorhaben soll untersucht werden, wie Hofnachfolger*innen und Existenzgründer*innen in der Landwirtschaft ein strategisches Betriebskonzept entwickeln und welche Faktoren sie dabei beeinflussen. Dabei wird insbesondere betrachtet, ob und inwiefern von diesen Personengruppen branchenweite Innovationspotentiale und transformatorische Kräfte ausgehen können.
Im Hinblick auf sich ändernde Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft und bevorstehende gesamtgesellschaftliche Herausforderungen, bei denen die Landwirtschaft eine besondere Rolle einnimmt, bedarf es transformierender Prozesse und innovativer Konzepte, die Zukunft mitzugestalten. Ziel ist es festzustellen, welche endogenen Kräfte existieren und was es braucht, diese in Wert zu setzen, damit eine Transformation aus der Landwirtschaft herauskommen kann, unternehmerisch motiviert ist und nicht politisch auferlegt werden muss.
Kontakt: Verena Weber
Engagement am Promotionskolleg NRW
Das Promotionskolleg für angewandte Forschung in Nordrhein-Westfalen (PK NRW) ist die Nachfolgeeinrichtung des 2016 gegründeten Graduierteninstituts NRW und wird von 16 staatlichen, 4 staatlich refinanzierten Hochschulen und der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung getragen. Das neu im Hochschulgesetz von 2019 verankerte
PK NRW hat zum Ziel, die Voraussetzungen für Promotionen an Hochschulen für
angewandte Wissenschaften im Zusammenwirken mit den Trägerhochschulen zu schaffen. Voraussetzung ist die Verleihung des Promotionsrechts an das PK NRW oder einzelne seiner Abteilungen durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW nach Begutachtung durch den Wissenschaftsrat.
Die TH OWL bringt sich in diesen Prozess intensiv ein und führt die Promotionsinteressierten über das hochschuleigene Graduiertenzentrum in der Exposé-Phase und entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen an die Promotionsprogramme des PK NRW heran. Prof. Dr. Klaus Maas ist Direktor der Abteilung Technik und Systeme.