
In den verschiedenen, oft anwendungsbezogenen Forschungsarbeiten der Forschungsgruppe am Standort Göttingen wird ein breites auf Dorf und Region bezogenes Themenspektrum abgedeckt.
Empirisch-angewandte Forschungsarbeiten, die hier durchgeführt werden, beziehen sich beispielsweise auf das Alltagsleben und die Lebensqualität im Dorf sowie auf die Analyse des Wirtschaftsstandortes Dorf und von Strukturen der Daseinsvorsorge. Darüber hinaus werden Themen, wie Zuwanderung und Integration im Dorf, die methodische Weiterentwicklung der Instrumente der Dorfentwicklung und Fragen einer bundesländerübergreifenden Regionalentwicklung bearbeitet, um nur einige der Themen zu nennen. Weiterhin stehen Bezüge zwischen Dorf und Stadt im Fokus des Forschungsinteresses.
Aktuelle Fragestellungen der Regional- und Dorfentwicklung sind im Kontext von sozioökonomischen, historisch-kulturellen und ökologischen Entwicklungen zu sehen. Die Forschung beschreibt die historischen und aktuellen Veränderungsprozesse und analysiert die Treiber und Prozessregler, um Lösungsansätze für die gegenwärtigen Herausforderungen zu entwickeln.
Expertenvideo
In einem Expertenvideo der HAWK Hochschule Hildesheim/Holzminden/Göttingen erklärt Prof. Dr. Ulrich Harteisen, wie Dörfer wieder attraktiv werden können.
Projekte der Forschungsgruppe
Das Teilprojekt am Standort Göttingen hat zwei Schwerpunkte. Zum einen nimmt es in den Landkreisen Göttingen und Northeim das Handwerk in den Fokus. Zum anderen wird eine Struktur- und Bedarfsanalyse inkl. regionaler Anbieterstrukturen, die unter anderem eine quantitative Unternehmensbefragung vorsieht, durchgeführt. Gleichzeitig wird der Bedarf der regionalen KMU (aufsuchende Beratung) validiert.
Mit dem Ziel, die Idee der Dorfmoderation in Südniedersachsen zu erproben und landesweit zu etablieren, haben im Modellprojekt „Dorf ist nicht gleich Dorf – Dorfmoderation Südniedersachsen“ (06/2017 bis 10/2020) die südniedersächsischen Landkreise Holzminden, Northeim, Goslar und Göttingen in Zusammenarbeit mit Wissenschaftler*innen prägende Faktoren der Dorfentwicklung identifiziert. Gemeinsam mit pädagogischen Praxispartnern sind Methoden für eine darauf abgestimmte erfolgreiche Moderation von Dorfprozessen entwickelt worden.
Eine raum- und akteursgruppenbezogene Analyse zu Entwicklungschancen und -hemmnissen ländlicher Räume in Grenzlage zu Nachbarbundesländern, untersucht am Beispiel der Region Südniedersachsen. Das Ziel des Projekts „Leben am Dreiländereck“ ist es, die Hypothese zu überprüfen, dass Grenzen von Bundesländern insbesondere an einem Dreiländereck im ländlichen Raum als politisch-administrative, sozioökonomische und mentale Barrieren wirken und somit eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume behindern. Weiterhin soll geprüft werden, ob eine verbesserte intraregionale Kommunikation und Kooperation Chancen bietet, negative Grenzeffekte zu überwinden.
Im SüdniedersachsenInnovationsCampus (SNIC) haben sich Akteurinnen und Akteure sowie Hochschulen der Region vernetzt, um ihr Wissen zu teilen und die Region gemeinsam zu fördern. Über das Projekt SNIC vor Ort sollen insbesondere kleine Ortschaften (Dörfer oder kleine Städte) hiervon profitieren. Die Koordinationsstelle SNIC vor Ort, die beim ZZHH angesiedelt ist, sieht sich hierbei in einer vermittelnden Funktion, um Kontakte zu knüpfen und für den Austausch von Hochschulen und Praxis zu sorgen.
Im Rahmen des Projekts wurden Entwicklungshemmnisse und Entwicklungsperspektiven des Wirtschaftsstandortes Dorf analysiert.
Eine interdisziplinäre Wissenschaftlergruppe der HAWK in Göttingen ging der Frage nach, wie sich gesellschaftliche Veränderungsprozesse auf unternehmerische Tätigkeiten in Dörfern auswirken. Ein wichtiger Aspekt ist der Megatrend „Digitalisierung“, durch den sich das Arbeitsleben grundlegend verändern wird und damit Entwicklungsoptionen für den Wirtschaftsstandort Dorf verbunden sein können.
Laufende Promotionen in der Forschungsgruppe
Die Qualifizierung zur Dorfmoderator*in für Ehrenamtliche in Niedersachsen stattet engagierte Dorfbewohner*innen mit grundlegenden Kenntnissen zur Gestaltung von Dorfprozessen und Dorfprojekten aus. Bisher fehlt es in der Wissenschaft und Praxis allerdings an einer vertieften Auseinandersetzung mit der Wirkung der Dorfmoderationen im System Dorf und auf seine Akteur*innen. Mit dieser Thematik möchte sich das Promotionsvorhaben mit dem Fokus auf qualitativen Methoden (Interviews, Netzwerkkarten) in ausgewählten Dörfern in Südniedersachsen auseinandersetzen. Folgende Fragen stehen dabei im Vordergrund: Welche Dynamiken entfalten die unterschiedlichen Dorfmoderationsprozesse in den Dörfern? In welchen Handlungsfeldern sind die Dorfmoderator*innen aktiv? Welchen Platz nehmen die Dorfmoderator*innen im Akteursnetzwerk der Dorfbewohner*innen ein und wie wirkt die Dorfmoderation auf dieses? Als grundlegendes Forschungsziel sollen Kriterien und Rahmenbedingungen ermittelt werden, durch welche die Dorfmoderationsprozesse wirkungsvoll gestaltet werden können.
Kontakt: Melissa Niewind
Der Megatrend der Digitalisierung stößt auch wirtschaftliche Veränderungsprozesse an. Die Neu- oder Umgestaltung von Wertschöpfungsprozessen unter Einsatz von digitalen Technologien wird als digitale Transformation bezeichnet. Neue Infrastrukturen wie beispielsweise Glasfaseranschlüsse gelten dabei als zentraler Enabler für die Digitalisierung von Unternehmen.
Die regionalökonomischen Auswirkungen des digitalen Wandels werden bislang vorrangig im städtischen Kontext diskutiert und erforscht. Wissenschaftliche Aussagen über die Interaktionen zwischen bestehender und szenarischer Digitalisierung und Wirtschaftsaktivitäten in ländlichen Kommunen fehlen in der Literatur. In der Promotion soll daher insbesondere die Frage beantwortet werden, welchen Stellenwert die Digitalisierung als Treiber der wirtschaftlichen Entwicklung für Wirtschaftsstandorte im ländlichen Raum schon hat bzw. zukünftig haben wird. Es sollen verschiedene Branchen und Unternehmensgrößen (kleinst-, kleine sowie mittlere Unternehmen) vergleichend analysiert werden.
Für das Forschungsvorhaben werden exemplarisch Dörfer in drei Regionen in verschiedenen Bundesländern in Deutschland untersucht. Um die möglichen Einflussfaktoren und Auswirkungen der Digitalisierung zu identifizieren, werden qualitative Experteninterviews mit Vertretern von Unternehmen geführt.
Kontakt: Finja Mieth
Im Mittelpunkt der Promotionsarbeit wird die Digitalisierung von Arbeit stehen. Konkret soll es darum gehen, welche Auswirkungen diese auf Arbeitnehmer*innen und auf die Attraktivität des ländlichen Raums insgesamt haben kann. Hintergrund ist, dass sich die Arbeitsplätze in den Industrieländern seit dem Beginn der Industrialisierung immer weiter in Richtung Städte und Ballungszentren verschoben haben. Nun wird – zumindest Büroarbeit – zunehmend ortsunabhängig. Die Pandemie hat dem Homeoffice einen deutlichen Aufschwung gegeben, und auch nach ihrem Ende werden hier gut etablierte Arbeitsstrukturen weiter Fortbestand haben.
Was ergibt sich dadurch für die ländlichen Räume und ihre Bewohner*innen? Wird das Dorf wieder zum Arbeitsstandort? Und falls ja, welche Voraussetzungen braucht ein Ort, um attraktiv für diese neuen Arbeiter*innen zu sein? Diesen und weiteren Fragen wird im Rahmen dieser Forschungsarbeit nachgegangen.
Seit Oktober 2021 Promotionsstipendium des Programms „Digitale Lebenswelten in Dörfern“ in Kooperation mit der Universität Vechta. Betreut wird die Arbeit von Prof. Dr. Ulrich Harteisen (HAWK Göttingen) und apl. Prof. Dr. Karl Martin Born (Universität Vechta).
Kontakt: Nora Hartmann
Abgeschlossene Promotionen in der Forschungsgruppe
Diese Dissertation mit dem Titel: „Einfluss von Erfahrungen auf kommunale Verantwortungsübernahme im Umgang mit internationaler Migration im Dorf. Eine empirische Betrachtung für den Zeitraum ab dem Jahr 1945“ wurde von apl. Prof. Dr. Karl Martin Born (Universität Vechta) und Prof. Dr. Ulrich Harteisen (HAWK) als kooperatives Promotionsverfahren betreut.
Die Dissertation setzt sich mit dem Einfluss von Erfahrungen auf kommunale Verantwortungsübernahme im Umgang mit internationaler Migration auseinander und geht der Frage nach, ob und wie sich Migrationserfahrungen der Vergangenheit auf den aktuellen Umgang mit Zuwanderung auswirken.
In diesem Zusammenhang interessiert insbesondere die Wahrnehmung und Verteilung von Verantwortung für Migration sowie Gestaltungsspielräume auf kommunaler Ebene. Der räumliche Fokus ist bewusst auf ländliche Gemeinden ausgerichtet, denn die Migrations- und Integrationsforschung hat diesen Siedlungstyp bisher kaum betrachtet, obwohl auch viele ländliche Gemeinden seit Jahrzehnten durch internationale Migration geprägt werden.
Am Beispiel der niedersächsischen Gemeinde Sögel (Landkreis Emsland) werden unterschiedliche Migrationsphasen seit 1945 in den Blick genommen und aufgezeigt, welche Bedeutung Erfahrungen für die lokale Governance im Umgang mit Migration haben können.
Ziel der Arbeit ist ein theoretisch-konzeptioneller Rahmen und eine eine Ableitungen für die kommunale Praxis. Die empirische Forschung ist durch zwei methodische Ansätze, die Dokumentenanalyse und die Expert*inneninterviews, gekennzeichnet. Die Dokumentenanalyse eignet sich in besonderer Weise dazu, den historischen Wandel im Umgang mit Migration nachzuzeichnen und zu analysieren und wirft zudem inhaltliche Fragen auf, die in den Expert*inneninterviews aufgegriffen wurden. Die Autorin führte 15 Interviews mit Expert*innen aus fünf unterschiedlichen Organisationen durch. Die Interviews liefern detaillierte Informationen zu den unterschiedlichen Tätigkeitsbereichen im Umgang mit Migration und auch zum Selbstverständnis der Organisationen. Eine zentrale Erkenntnis ist, dass durch die immer stärkere Aufstellung des Hauptamtes die Verantwortungsübernahme des organisierten Ehrenamtes zunehmend abgelöst wird und in der letzten Migrationsphase kaum noch eine Rolle spielt. Die Autorin formuliert diese zentrale Erkenntnis prägnant wie folgt: „Von Governance und damit gemeinsamer Handlungsfähigkeit mit gemeinsamen Entscheidungsstrukturen lässt sich in der Zusammenarbeit zwischen Haupt- und Ehrenamt nicht mehr sprechen“.
Das Promotionsvorhaben wurde von Dr. Lien Lammers bearbeitet und im Jahr 2022 abgeschlossen.
Den Herausforderungen in ländlichen Räumen (u.a. demografischer Wandel, Gewährleistung der Daseinsvorsorge) zu begegnen, zeigt sich aktuell als komplexe räumliche und politische Aufgabe. In der Frage nach passgenauen Handlungsstrategien, die gemeinsam mit den Menschen vor Ort gestaltet werden, eröffnet sich in der Orts- und Regionalentwicklung eine Diskussion über neue Verantwortungsverhältnisse.
Gegenstand der hier vorgestellten Dissertation ist das niedersächsische Förderprogramm der Dorfentwicklung, welches das Ziel der Unterstützung der Dörfer in ihrer Entwicklung als vitale Wohn-, Wirtschafts- und Lebensräume verfolgt. Forschungs- und Modellprojekte verdeutlichen, dass die Bürger*innen als zentrale Figuren in der niedersächsischen Dorfentwicklung erkannt worden sind und erste Ansätze hinsichtlich einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme zwischen Kommune und Bewohner*innen diskutiert werden.
Die analytisch-thematische Auseinandersetzung mit Verantwortung befindet sich noch in den Anfängen der wissenschaftlichen und politischen Debatten und hat bisher keine bedeutende Stellung im Förderprogramm inne. Ein Forschungsdefizit verdeutlicht sich hierbei in Möglichkeiten der Ausgestaltung und Umsetzung von Verantwortungsgemeinschaften aus der Perspektive der Planung.
Die Dissertation setzt sich am Beispiel der niedersächsischen Dorfentwicklung mit der Frage auseinander, inwieweit es einer neuen Ausrichtung des Förderprogramms in Bezug auf die Selbstgestaltung des Lebensraumes durch die Bürger*innen, neuer lokaler Verantwortungsstrukturen und damit einhergehend einer methodischen Anpassung bedarf. Hierzu werden mit Hilfe qualitativer Methoden der empirischen Sozialforschung Einschätzungen zu einer gemeinsamen Verantwortungsübernahme und der Ausgestaltung von Verantwortungsgemeinschaften vertiefend betrachtet und es wird ihr Potenzial für die Entwicklung ländlicher Räume untersucht.
Die Fachperspektive von Planer*innen, ergänzt durch die Alltagsperspektive der Bürger*innen, verdeutlicht, dass neue Verantwortungsstrukturen, wie die Zusammenarbeit als Verantwortungsgemeinschaft, dazu beitragen können Dörfer als attraktive Räume zu gestalten und innovative Lösungsmöglichkeiten zu finden. Als zentrale Einflussfaktoren auf Verantwortungsgemeinschaften sind das Interesse an einer gemeinsamen Gestaltung, Wissen über Kompetenzen, Rollenverständnisse, Verstetigung und passende Rahmenbedingungen – wie die Ausgestaltung der Partizipation, Kommunikation und Entscheidungsfindung – zu bezeichnen.
Die Dissertation bietet eine empirische und multiperspektivische Grundlage, auf die sich das Ansinnen nach der Etablierung von Verantwortungsgemeinschaften stützen kann und schließt mit Handlungsempfehlungen für die Praxis und dem Aufzeigen des weiteren Forschungsbedarfs ab.
Das Promotionsvorhaben wurde von Dr. Zora Becker bearbeitet und im Jahr 2020 abgeschlossen.
Dörfer befinden sich vielerorts in einem bedrohlichen Strukturwandel, der Bewohner und Politik vor große Herausforderungen stellt. Und sie werden unterschiedlich wahrgenommen: Die einen sehen in ihnen vorwiegend Kosten und marode Infrastruktur, für die anderen sind sie Ausdruck einer neuen Entschleunigung und ein Weg zur Nachhaltigkeit.
Die vorliegende Untersuchung dreier Beispiele aus Deutschland, dem Vereinigten Königreich und Spanien macht deutlich, dass es eine ganze Reihe von Möglichkeiten gibt, wie sich ländliche Gemeinschaften für künftige Entwicklungen stärken können. Zudem wird deutlich, dass kulturelle und historisch gewachsene Unterschiede zwar den Rahmen verändern, im Kern aber ähnliche Antworten auf dieselben Herausforderungen gefunden werden müssen.
Die Mixed-Methods-Untersuchung nähert sich der Dorf- und Landentwicklung über ein achtdimensionales Resilienzmodell, das mithilfe teilnehmender Beobachtung und quantitativer sowie qualitativer Befragung - sowohl von Bewohnern wie von Experten - auf seine Funktionsfähigkeit hin analysiert wird: Welche Lernprozesse mussten die Pionierdörfer hinter sich bringen, welche Faktoren sozialer, geografischer oder politischer Natur haben dazu beigetragen, dass sie sich besonders dynamisch und zukunftsweisend entwickeln konnten? Dieses Buch gibt Antworten und liefert anhand von praktischen Handlungsempfehlungen einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung der ländlichen Räume in Europa.
Das Promotionsvorhaben wurde von Dr. Alistair Adam Hernández bearbeitet und im Jahr 2020 abgeschlossen.
Die Koinzidenz gesellschaftlicher, staatlicher wie ökonomischer Wandlungsprozesse stellt insbesondere die Daseinsvorsorge in peripheren ländlichen Räumen vor gravierende Herausforderungen. Im Zuge einer veränderten Arbeitsteilung übernehmen immer mehr private Anbieter ehemals staatlich bereitgestellte Leistungen. Wirtschaftliche Tragfähigkeit wird so zu einem entscheidenden Kriterium für das Vorhalten von Infrastruktureinrichtungen, was gerade in entlegene schrumpfenden Regionen zu quantitativen und qualitativen Verlusten führt. Um trotz Dualität von Wachstum und Schrumpfung eine ausreichende Versorgung garantieren zu können, ist es notwendig, Verantwortlich- und Verlässlichkeiten in der Daseinsvorsorge zu überdenken. Für periphere Regionen wird dabei immer wieder eine verstärkte Einbindung des Bürgers gefordert.
Dieses eingeforderte und in Teilen schon praktizierte neue Miteinander in der daseinssichernden Leistungserbringung sowie die normative Aufladung von Zivilgesellschaft und bürgerlichem Engagement mit Gemeinwohlverpflichtungen sind jedoch grade im Kontext ländlicher Daseinsvorsorge hochgradig voraussetzungsvoll: Zum einen ist nicht einheitlich und abschließend definiert ist, welche Leistungen – Infrastrukturen – unter den Begriff der Daseinsvorsorge fallen und wer für die Erbringung dieser verantwortlich ist. Gerade wegen dieser Unschärfe wird die Begriffsweite stark geprägt von einem historisch gewachsenen Verständnis und teils noch heute als staatlicherseits zu erbringende Selbstverständlichkeit aufgefasst.
Voraussetzungsvoll ebenso, da grade in ländlichen Räumen immer schon eine starke Tradition und erlebte Notwendigkeit lokaler Selbsthilfe bestand. (Eingefordertes) Engagement muss daher in einem Spannungsfeld zwischen aktiver und passiver Bewältigungsstrategie im Umgang mit wegbrechender Infrastruktur und wahrgenommener Selbstverständlichkeit. Anderenfalls besteht die Gefahr, bestehendes Engagement zu übergehen.
Voraussetzungsvoll schließlich auch deshalb, da der staatliche Rückzug aus der infrastrukturellen Daseinsvorsorge auch einen öffentlichen Rückzug aus der Verantwortung für eine flächendeckende gleichwertige Teilhabe und zur Reduzierung sozialer Ungleichheit impliziert. Die gerechtigkeitsrelevante Strukturierungskraft infrastruktureller Daseinsvorsorge wird jedoch meist ebenso wenig thematisiert wie grundlegende Funktionen und Ziele dieser.
Es gilt daher, die Voraussetzungen infrastruktureller Daseinsvorsorge vor dem Hintergrund aktuell ablaufender Transformationsprozesse aufzudecken, zu überprüfen und gegebenenfalls neu zu denken. Entscheidend ist es dabei auch, die Perspektive der Bürger peripherer ländlicher Räume einzubeziehen als derjenigen, deren Aktivierung maßgeblich fokussiert wird. Eben diesen vorgeschalteten gesellschaftlichen Diskurs aufzugreifen und den Blick zu lenken auf die konstitutiven Rahmenbedingungen infrastruktureller Daseinsvorsorge, ist das Forschungsinteresse der vorliegenden Dissertation.
Das Promotionsvorhaben wurde von Dr. Marit Schröder bearbeitet und im Jahr 2019 abgeschlossen.
Landwirtschaftsnahe Personen erbringen in ländlichen Räumen wiederholt Engagementleistungen freiwilliger Art. Eine solche Form abseits des originären Prodktionsbezuges ist die Mitarbeit in den Lokalen Aktionsgruppen (LAGn) der Leader-Regionalentwicklung.
Diese Forschungsarbeit erkundet deren Attraktivität angesichts eines von Herausforderungen geprägten landwirtschaftlichen Handlungsumfeldes. Neue Erkenntnisse zur theoretischen Strukturierung des Untersuchungsgegenstandes landwirtschaftlicher LAG-Mitarbeit bereichern das Forschungsfeld.
Die ausgesprochen komplexe Rolle der Landwirtschaft als gestaltender Teil des ländlichen Raumes findet sein Abbild in einer differenzierten Wahrnehmung der Leader-Regionalentwicklung und der dortigen Mitarbeit. Im ländlichen Raum vollzieht der Akteur eine die eigene Rolle erkundende Suchbewegung.
Die Arbeit taucht zunächst in die Tiefe des landwirtschaftlichen Hintergrundes ein und konzentriert sich auf die Darstellung der Besonderheiten landwirtschaftlicher Lebens- und Arbeitswelt und damit auf die Menschen selbst.
Wesentliche Einflüsse auf landwirtschaftliches Handeln im Allgemeinen und das LAG-Engagement im Speziellen gehen von einer als `Sozio-kulturelle Fragmentierung der Landwirtschaft´ bezeichneten Komponente aus. Dieser Begriff wird mit seinen sechs Teilebenen in die Wissenschaft eingeführt.
Diese unterliegen jeweils für sich einem konfliktbehafteten Wandel zwischen Tradition und Moderne, zwischen Abschottung und Öffnung, Rückzug und Mitarbeit. Die Folgen sind ein Verlust an inneren und äußeren Orientierungslinien. Dies führt letztlich zu einer Verunsicherung landwirtschaftlich tätiger Personen.
Der Begriff `Sozio-kulturelle Fragmentierung´ fokussiert auf die aktuellen Herausforderungen für die in der Landwirtschaft tätigen Menschen und ergänzt damit die rein ökonomischen Herausforderungen des Strukturwandels mit einem Blick auf die dort tätigen Personen.
Als weitere theoretische Basis werden `Grundmotive freiwilligen Engagements´ entworfen, die sowohl für das freiwillige Engagement von Bürgern, als auch jenes von Unternehmen und Organisationen, eigene Engagementsystematiken darstellen. Die `Motive der Nicht-Teilnahme an Engagementgelegenheiten´ bereiten ebenfalls vorhandene Literatur auf. Sie zeigen theoretische Spektren auf, die im Sinne einer Auseinandersetzung mit möglichen Nutzenformen des Engagements eine Vorlage bieten, um engagementbezogene Ziele zu erkennen, einzuordnen und gegebenenfalls neu auszurichten.
In der Datenerhebung wurden landwirtschaftsnahe LAG-Mitglieder niedersächsischer Leader-Regionen postalisch und mündlich befragt. Typische Vertreter dieser Untersuchungsgruppe waren Kreisbauernvertreter, Landwirte und Landfrauen. Der Befragungszeitraum lag zwischen 2013 und 2015.
Von Einfluss auf die Höhe der landwirtschaftlichen LAG-Teilnahmemotivation sind die vier statistisch ermittelten Einflussfaktoren `Gemeinschaftsinteressen´, `Soziale Unterstützung´, `Handlungsressourcen´ und `Strategische Ausrichtung´. Je nach betrachteter landwirtschaftlicher Subgruppe können 43 – 60 % der Höhe der Teilnahmeabsicht an LAG-Sitzungen erklärt werden. Der ebenfalls identifizierte Faktor `Eigene Gruppe: Landwirtschaft´, der die Komplexität des landwirtschaftlichen Hintergrundes beschreibt, wird im Laufe der Auseinandersetzung ausdifferenziert.
Die qualitativen Befragungsergebnisse kreisen um die Wahrnehmung einer insgesamt eher schwierigen landwirtschaftlichen Rolle in den LAGn sowie die damit zusammenhängenden Motivations- und Demotivationsfaktoren eigenen Teilnahme.
Mit Blick auf die `Sozio-kulturelle Fragmentierung der Landwirtschaft´ werden der LAG-Teilnahme und den dabei zum Tragen kommenden gestaltenden Motive für die landwirtschaftliche Gruppe äußerst heilsame, weil identitätsstiftende Wirkungen attestiert, die den Fragmentierungsfolgen entgegenwirken. Die LAG-Teilnahme passt grundsätzlich gut ins Bild der eigenen Anstrengungen um öffentlichkeitsbezogene Integration, jedoch ruft die mangelnde Einbindung über Projektmöglichkeiten sowie ein LAG-seitig unklarer Bedarf an landwirtschaftlichen Kompetenzen die Frage nach der Einbindung der Landwirtschaft und deren Rolle in der ländlichen Entwicklung auf den Plan.
Ohne die direkte Beteiligung der Landwirtschaft und die Honorierung ihrer Rolle wird auch die integrierende Wirkung in Frage gezogen, die der Leader-Ansatz eigentlich versprühen kann. Die Diskussion thematisiert diese schwierige Rolle vor allem konventioneller Landwirtschaft in der Leader-Regionalentwicklung und entwirft hierzu `Engagementthemen´, welche das komplexe Miteinander theoretisch aufarbeiten und mit Verweis auf die beiderseitigen Einflüsse strukturieren.
Außerdem wurde eine siebenstufige `Evaluationstypologie´ entwickelt. Die Datenmenge erlaubt eine vereinfachte Strukturierung der Gesprächspartner in die drei Gruppen `Verärgerte´, `Beobachter´ und `Überzeugte´. Praktische Schlussfolgerungen werden sowohl an die Leader-Verantwortlichen als auch die landwirtschaftsnahe Gruppe selbst artikuliert.
Seitens des Leader-Ansatzes sind Nutzen- und Einbindungsformen für Mitglieder der konventionellen Landwirtschaft zu entwickeln. Darüber hinaus wird landwirtschaftsseitig insbesondere die Bildung eines landesweiten landwirtschaftlichen Leader-Forums als Raum eigenen Erfahrungsaustausches angeregt.
Das Promotionsvorhaben wurde von Dr. Benjamin Ebeling bearbeitet und im Jahr 2017 abgeschlossen.
Engagement in wissenschaftlichen Beiräten und Arbeitskreisen
Prof. Dr. Ulrich Harteisen ist Mitglied in folgenden wissenschaftlichen Gremien:
- Vorstandsmitglied des Arbeitskreises für historische Kulturlandschaftsforschung in Mitteleuropa e.V (ARKUM)
- Mitglied des Wissenschaftlichen Beirates der vom Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL) und der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig (SAW) herausgegebenen Buchreihe "Landschaften in Deutschland"
- Mitglied der Geographischen Kommission für Westfalen