120 Teilnehmende bei Tagung zu digitalen Lernszenarien

Mit rund 120 Teilnehmenden verwandelte sich die HAWK in Holzminden jetzt zu einem Think Tank: Expertinnen und Experten aus der beruflichen Bildung, Wirtschaft, Politik und den zuständigen Ministerien und Schulbehörden haben zwei Tage daran gearbeitet, duale Berufsausbildung durch die Integration digitaler Lernszenarien auch in Zukunft attraktiv zu gestalten.

 

Ziel war, Einblicke in technische Optionen digitaler Lehre zu geben, für die großen didaktischen Möglichkeiten, aber auch Anforderungen verlässlicher und dauerhafter Etablierung digitaler Lernszenarien zu sensibilisieren, die Erfahrungen unterschiedlicher Projekte aus den Perspektiven aller Beteiligter vorzustellen, zur Diskussion einzuladen und organisatorische Rahmenbedingungen und Voraussetzungen zu erläutern.

Ganz im Sinne der Verknüpfung von Theorie und Praxis startete die Konferenz mit Workshops des praktischen Tuns: In den HAWK PC-Pools zeigten Daniela Blanke und Dr. Christine Brunn, die Referentinnen des Instituts für Lerndienstleistungen der FH Lübeck, was möglich ist, technisch und didaktisch und alle konnten ausprobieren und den Transfer in die eigene Alltagslehre erproben.

Gerrit Klinge, BBS Duderstadt, und Michael Schindewolf von der Georg von Langen Schule in Holzminden hatten sogar Schülerinnen und Schüler mitgebracht: Gemeinsam gaben sie Einblicke in ihren Alltag digitaler Lernsequenzen in der Ausbildung des Groß- und Außenhandels.

Schüler/innen sind bereit für Digitalisierung
Prof. Dr. Alexandra Engel fasste die Erfahrungen aus dem laufenden Kooperationsprojekt am Zukunftszentrum Holzminden-Höxter (ZZHH) zusammen:  Gerade aus Sicht ländlicher Räume ist die Sicherung flächendeckender Angebote berufsbildender Schulen als Inkubatoren der Wirtschaft und Innovationszentren im demografischen Wandel elementar. Schon heute können die meisten Schülerinnen und Schüler die beruflichen Schulen nur mit dem Auto erreichen. Die Schülerinnen und Schüler sind bereit und kompetent für Digitalisierung: Sie wünschen sich jedoch ausdrücklich keine zeitliche Flexibilisierung, sondern Lernen zu normalen Schulzeiten. Aber sie können sich vorstellen, von zuhause aus zu lernen. Wie das Lernen im Betrieb funktionieren kann, muss noch weiter erforscht werden. Digitales Lernen im Präsenzunterricht fördert die Motivation durch eine stärkere Vielfalt der Lernangebote. Das Lernen in der E-Learning Phase sehen die Schülerinnen und Schüler als Training des Zeitmanagements und der Selbstverantwortung. In der Onlinephase wird vor allem der soziale Lernprozess, das gegenseitige Helfen, die Kommunikation in Foren als qualitätssteigernd wahrgenommen.

Lehrerinnen und Lehrer haben hohe didaktische Anforderung: Sie möchten, dass der Unterricht durch digitale Lernszenarien besser wird. Das stellt hohe Anforderungen, die in der zur Verfügung stehenden Zeit alleine nicht geleistet werden können.

 

Schüler/innen produzieren Lernmaterialien
Thomas Roth von den beruflichen Schulen Waren/Müritz setzt digitale Lernszenarien ein, um die Handlungsorientierung in ihrer Lehre zu erhöhen, aber auch um standort- und ausbildungsübergreifende Kommunikation zu unterstützen – für Schülerinnen und Schüler wie auch für das Kollegium. Sie nutzten digitale Lernszenarien in der Ausbildung zur Kaufmann/-frau im Einzelhandel und anderen Berufen des Verkaufs. Schülerinnen und Schülern werden unter anderem in der Gestaltung von Filmen und Podcasts zu Produzenten von Lernmaterialien. Die Schule erarbeitet in diesem Kontext einen eigenen Medienbildungsplan.

Zentraler IT-Service notwendig
Das BBZ Rendsburg-Eckernförde gehört zu den gut ausgestatteten Schulen mit vielen Erfahrungen in digitaler Lehre. Die Forderung des Schulleiters Jürgen Erwin, dass berufliche Schulen einen zentralen IT-Service benötigen, wird nicht nur durch einschlägige Studien, sondern auch von den anwesenden Expertinnen und Experten beruflicher Bildung uneingeschränkt geteilt. Multiprofessionelle Teams müssen in der beruflichen Bildung deutlich stärker Einzug halten können als bislang, in Arbeitsteilung und in Unterstützung der Lehrerinnen und Lehrer.  In Rendsburg-Eckernförde lernen die Kaufleute für Marketingkommunikation digital, aber auch die Fachoberschule Wirtschaft als Abendschule soll mit digitalen Lernszenarien besser zugänglich sein. Denn auch hier verhindern sonst weite Anfahrtswege Bildungsprozesse. Die Möglichkeit direkter und detaillierter Feedbacks wird von den Lehrern Tore Indigner und Brüdger Knothe als Vorteil erlebt, ebenso wie positive Rückmeldungen der Dualpartner. Perspektivisch möchte die Schule digitale Lehre bei der Bewältigung von Inklusionsaufgaben und Sprachförderung sowie im Projektunterricht stärker nutzen.

Am Ende des ersten Konferenztages wird deutlich, dass einzelne Schulen mit Einzelmaßnahmen Digitalisierungsprozesse in der Lehre nur begrenzt umsetzen können. Alle Akteure äußern den Wunsch nach Zusammenarbeit und arbeitsteiliger Entwicklung digitaler Lernszenarien. Denn der Zeitaufwand und die Rahmeninfrastruktur digitaler Lehre sind in einer einzelnen Schule über Modellprojekte hinaus nicht dauerhaft leistbar.

 

Schulverbund zur Digitalisierung von Lernfeldern
Prof. Dr. Rolf Granow von der FH Lübeck gibt daher einen Überblick über die Gründung des Verbunds virtueller Fachhochschulen und schlägt vor, ein ähnliches Modell auch in der beruflichen Bildung zu etablieren: Schulen schließen sich in einem Verbund zusammen und vereinbaren die Zuständigkeit der Digitalisierung von Lernfeldern, die sie sich gegenseitig zur Nutzung zur Verfügung stellen.

Auf dem Weg dahin sind jedoch etliche Sachfragen zu klären: Julia Herbst, Referentin für Schulrecht im zuständigen Ministerium Mecklenburg-Vorpommern, informiert über die rechtlichen Rahmenbedingungen digitaler Lehre, Markus Deimann von der FH Lübeck über die didaktischen Anforderungen, Madeline Sprock und Christian Höke von Madeye-Films zeigen auf, wie mit Video der Betriebsalltag in den Schulalltag wandern kann.

Aus Perspektive der Schülerinnen und Schüler ist eine duale Ausbildung nochmal attraktiver, wenn die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten im Sinne lebenslangen Lernens klar sind: In diesem Sinne diskutiert eine Arbeitsgruppe unter Leitung von Prof. Dr. Jens Langholz, FH Kiel, Fragen der Übergänge in berufsbegleitende Studienangebote. Aus den weiterführenden Diskussionen wird sehr deutlich, dass auch die digitale Weiterbildung eine attraktive Perspektive darstellt, die vor allem auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von KMU – kleinen und mittelständischen Unternehmen – stärker eröffnet werden sollte. Die abschließende Podiumsdiskussion griff die Diskurse der beiden Tage auf: Digitale Lehre macht niemand alleine. Aber wie kann eine Kooperation aussehen?

 

Gemeinsame Lernplattform
Arne Welsch vom Institut für Lerndienstleistungen der FH Lübeck systematisierte die Anforderungen an Rahmenbedingungen für gelingende digitale Lehre: Basis ist die Auseinandersetzung damit, was das Ziel der digitalen Lehre ist, was besser oder anders werden soll als im bislang normalen Schulalltag. Darauf aufbauend müssten dann Texte verfasst werden, deren Urheberrechte eindeutig geklärt sind. Hier ist das Fachwissen von Lehrerinnen und Lehrern unverzichtbar, denn sie verstehen es, die gesetzten Ziele organisatorisch wie didaktisch mit dem zu vermittelnden Wissen zu verbinden. Die medientechnische und mediengestalterische Ausarbeitung eines Lernfeldes muss jedoch darauf aufbauend von Fachkräften übernommen werden.  Das Ergebnis fließt dann in eine geeignete Lernplattform ein, die leicht verständlich und benutzerfreundlich gestaltet sein sollte und in deren Benutzung Lehrerinnen und Lehrer wie auch Schülerinnen und Schüler fortgebildet werden müssten.

 

Wirtschaft fordert Digitale Lernszenarien
Prof. Dr. Günter Hirth von der IHK Hannover, in dieser Forderung auch von den Vertretern der Handwerkskammer unterstützt, bekräftigte sehr deutlich die dringende Notwendigkeit der Etablierung digitaler Lernszenarien aus Sicht der Wirtschaft. Neben der Chance des Erhalts flächendeckender beruflicher Bildung sieht er vor allem den Nutzen in der Stärkung der Eigenständigkeit und Selbstverantwortung der Auszubildenden. Denn digitale Lehre habe nicht nur organisatorische Vorteile, sondern die Wirtschaft brauche Auszubildende mit guter Methodenkompetenz und Routine in digitaler Informationsverarbeitung sehr dringend.

 

Landesbeauftragte führt Netzwerke zusammen
Die Landesbeauftragte für regionale Landesentwicklung Leine-Weser Heike Fliess betont in diesem Zusammenhang das vernetzte Denken: Gemeinsames Entwickeln, auch mit digitalen Methoden, aber vor allem im Dialog sieht sie als Maßnahme für Zukunftsfähigkeit beruflicher Bildung in ländlichen Regionen. Die Rolle des von ihr geführten Landesamts für regionale Entwicklung sieht sie darin, diese Netzwerke zusammen zu führen und über konkrete Fördermöglichkeiten zu beraten. Sie geht davon aus, dass Digitalisierung alte Steuerungsstrukturen aufbrechen wird und daher neue Wege initiiert werden müssen.

 

Kultusministerium: individuelle Konzepte im Verbund
Die zuständige Abteilungsleiterin im Kultusministerium, Cornelia Frerichs, beschäftigt sich intensiv mit den Optionen der Gestaltung und Organisation digitaler Lehre in Schulen und hebt das kooperative Modellprojekt am ZZHH als ein Beispiel für wichtige Erfahrungsräume hervor, um die konkrete Ausgestaltung digitaler Lehre diskutieren zu können. Sie sieht die Rolle des Ministeriums darin, gute Rahmenbedingungen zu entwickeln, die dauerhaft belastbar und nicht aktionistisch sind, fordert aber auch die Schulleitungen zu gemeinsamem Handeln auf und unterstützt die Bildung eines Netzwerks, um individuelle Konzepte im Verbund zu entwickeln.

 

Zusammenfassend wird deutlich: Lehrerinnen und Lehrer in den berufsbildenden Schulen sind schon längst die Motoren digitaler Lernszenarien. Ihr Wunsch ist, eine größere Wirkung entfalten zu können, indem auf Basis einer gemeinsam genutzten professionellen Lernplattform für berufliche Bildung didaktisch wie technisch aufbereitetes, rechtlich sauber erarbeitetes Material gemeinsam genutzt werden kann. Dazu leisten sie gerne ihren fachlichen Beitrag, fordern aber auch ein, dass die Schule sich verändert und die politischen Rahmenbedingungen für multiprofessionelle Teams und gute digitale Ausstattung von Schulen bereitgestellt werden.

Wer für die Koordination eines solchen Netzwerks zuständig ist und wie die geforderte Arbeitsteilung finanziert und organisiert werden kann, wird im Rahmen weiterer Veranstaltungen konkret gemeinsam zu klären sein. Prof. Dr. Alexandra Engel von der HAWK und Direktorin des Zukunftszentrums Holzminden-Höxter sowie  Arne Welsch vom Institut für Lerndienstleistungen der FH Lübeck versprechen, dran zu bleiben und werden wieder zum nächsten „Think Tank“ einladen, denn Digitalisierung in der beruflichen Ausbildung zu etablieren wird ein Marathonlauf sein. Die allgemeine Stimmung der Tagungsteilnehmenden verspricht Konstanz und Durchhaltekraft: „Also ich wäre dabei, das war in der Quintessenz eine tolle Veranstaltung“, so eine Tagungsteilnehmerin im Abschlussresumée.